Einen Tag lang nicht lügen – wie soll das gehen?

Ich glaube zu wissen, dass jeder von euch lügt. Täglich, sogar mehrmals täglich würde ich zu behaupten wagen. Es sind, so nennt man es gern; Notlügen. Doch sind sie das wirklich und wieso benutzen wir sie? Vielleicht um anderen, unangenehmen Fragen aus dem Weg zu gehen. Um ein Gespräch schnell oder einfach höflich zu beenden. Aber müssen wir das? Müssen oder sollen wir uns für die Gesellschaft so verstellen?

Es beginnt doch schon mit: „Hast du xy den Gruss ausgerichtet?“ oder „Geht’s dir gut?“ Wer hat den bitte Lust, Nerven und Zeit, all diese Dinge ausführlich zu erklären und jedem unter die Nase zu reiben. Und nein, es ist nicht okay, sich Morgens, im wohl bemerkt noch leeren Zugabteil, direkt neben mich zu setzen und mir jeglichen Freiraum und die Luft zum atmen zu klauen, wenn sonst noch genügend Plätze mit ausreichendem Sicherheitsabstand vorhanden sind. Wenn ich morgens verheult ins Büro komme und du fragst; „Geht’s dir gut?“ und ich die Frage mit „Ja“ beantworte, heisst das nicht nur, dass du nicht zu meinen Vertrauten gehörst, es heisst auch, dass du ein ziemlicher Hohlkopf bist. Würde es mir gut gehen, sähe ich nicht verheult aus. Aber ja, Empathie ist halt so n’Ding, ne? Jedenfalls nervts mich bald mehr, mich ständig dabei zu erwischen, anderen Menschen so etwas vorzugaukeln, nur damit sie zufrieden sind, als die Tatsache, dass ich manche Dinge halt echt nicht auf die Reihe kriege und dann was erzähle um selbst vor der Wahrheit davon zu laufen.

Noch besser, als die Menschen, die – wie ich – dazu neigen, jede Antwort an sein Gegenüber in ein schön verpacktes Geschenk zu verwandeln, sind allerdings diese, die dann wohl merken, dass im Geschenk nur heisse Luft drin ist, aber so tun als wäre es der Weltfrieden. Hauptsache die heile Welt aufrecht erhalten, was? Hauptsache nicht die Probleme Anderer anhören, aber immerhin habe ich gefragt. Und wäre es so wichtig oder bewegend gewesen, hätten sie es schon erzählt. – Applaus, Applaus. Dir müssen deine Mitmenschen aber echt viel wert sein.

Ich werde versuchen, meine Gefühle mehr in klaren und kurzen Sätzen zu formulieren. Damit meine Umwelt nicht völlig aus dem Konzept fällt. Ausserdem werde ich versuchen, nicht mehr zu heulen, wenn jemand aus meiner Lieblingsserie stirbt oder aussteigt. Denn das übersteigt wohl jede Vorstellung von angebrachter Empathie. – Schaut niemals in einem vollen Zug, eine Folge einer Serie in der jemand stirbt, wenn ihr bei solchen Dingen auch heulen müsst. Ausser ihr mögt übertrieben seltsame Blicke, dann; bitte.

Und was wirst du machen? Weiter leben, was ändern? Lasst es mich wissen, denn es interessiert mich! – oder doch nicht?

 

Anna

Bild: Marco Bäni

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