Also, bevor du diesen Blogpost weiter liest ist wichtig, dass nicht jeder der hier in Doppleschwand (einem 850 Seelen Dörfchen) wohnt automatisch genau so ist, wie ich hier die Mehrheit der Menschen erlebe und beschreibe. Das schreibe ich übrigens nicht nur, damit ich keinen Streit mit meinem Nachbaren bekomme. *lach* Ich beschreibe hier einfach, wie für mich das (Zusammen-)Leben hier, im Entlebuch, oder auch manchmal im gefühlt 20. Jahrhundert, so ist. Es gibt viele, wirklich viele Vorteile, aber heute soll es mal um die Schattenseiten gehen.
1. Die öffentlichen Verkehrsmittel
Wenn man hier, im wunderschönen Kaff lebt, dann braucht man entweder mit 14 oder jünger (Ja, das geht, wenn man weit genug vom Zentrum des Dorfes weg wohnt und keine andere Möglichkeit der schnellen Fortbewegung besteht) ein Mofa/Töffli und den entsprechenden Ausweis, oder man ist am Arsch (der Welt). Schlimm genug, dass bis letzten Dezember der letzte Bus um 19:15 vom nächsten Bahnhof hier hin gefahren ist, nein. Mitten am Nachmittag wartet man 2 Stunden vergebens auf eine Verbindung, da die Strecke nicht „ausgelastet“ sei und es sich „nicht lohne“ die Strecke dauerhaft zu besetzen. Wuhu.
2. Jeder kennt Jeden
Ohne Spass, wenn man ein neues Auto hat, weiss das in weniger als einem Tag das ganze Dorf. Natürlich spielt es eine Rolle, was für ein Auto es ist und wer es gekauft hat. Je nach dem steigert es die Wichtigkeit und Schnelligkeit der Gerüchte welche in Umlauf geraten. Ich muss ja zugeben, es ist manchmal echt praktisch, dass man das Fenster öffnen kann und die Damen die hier nichts zu tun haben, über alles Bescheid wissen und man so immer informiert ist, aber seltsam ist das schon. Die beste Kombi ist ja, wenn man Morgens in den Bus steigt und der Sitznachbar plötzlich fragt, ob man die Autoprüfung beim ersten Versuch geschafft hat und nein, ich habe der Person nicht davon erzählt.
3. Das altertümliche Denken
Angesehen davon, dass hier viele Ausländerfeindlichegedankenzüge in den Köpfen der Menschen zu finden sind, wird hier nicht wirklich viel Wert auf Neues gelegt. So à la was der Bauer nicht kennt, frisst er nicht. Deshalb können sie es nicht verstehen, wenn jemand sich die Haare blau färbt, sich mit 50 Extensions machen lässt oder (so wie ich) gerne durch die Welt reist. Wobei ich mir denken kann, dass die meisten sich einfach wundern, woher ich das Geld nehme. Hier ein Tipp vom Profi: Arbeiten ist die Lösung.
4. Vitamin B
Ohne Spass, dass ist wohl das, was mich wirklich am meisten nervt. Hier kriecht jeder jedem in den Arsch, spricht aber hinter dem Rücken schlecht über die Person. Schliesslich könnte es irgendwann mal nützlich sein, solche „Kontakte“ zu haben. Das habe ich schon zur Genüge erlebt. Da werden Leute bevorzugt, dort wird ihnen der Bauch gepinselt und da drüben wird ihnen alles zu Füssen gelegt. Jeder andere Mensch, der diese „Kontakte“ (wenn ihr dieses Wort lest, bitte verzieht das Gesicht und stellt euch einen unterschwelligen, negativen Unterton vor) nicht hat, müsste sich für den gleichen Job/Platz den Arsch aufreissen. Aber neeeein, es gibt halt Menschen, die können’s, weil sie in den richtigen (ob das wirklich Richtig ist?) Kreisen aufgewachsen sind. Ich könnte kotzen.
5. Obwohl ich es tue, darfst du es nicht tun, weil… du, du bist!
Ach herrje, das hätte ich beinahe vergessen. Das ist wohl was, was wirklich oft passiert. Manchmal sogar mir, aber hier ist es einfach so extrem, dass ich das mal zur Sprache bringen muss. Es hat ein Stück weit mit der Arschkriecherei vom letzten Punkt zu tun, aber ist noch etwas niveauloser. Es gibt tatsächlich Menschen denen es nichts ausmacht, wenn ihre Freunde genau das machen, was sie an Außenstehenden bemängeln. Noch besser; Sie machen es selbst. Bestes Beispiel: „Wieso steht dieses Auto seit gestern auf dem Besucherparkplatz? Der Platz ist für Besucher, so geht das nicht!“ gleiche Person parkt ihr Auto für mehrere Tage auf dem Besucherparkplatz. Begründung: „Also, dieser Platz ist für Alle. Dann kann ich den doch Nutzen, wenn ich ihn brauche.“ Brauche? BRAUCHE? Jeder andere Mensch zahlt für so einen Parkplatz 80-120.- und du benutzt den, weil deine Familie zu viele Autos hat und du keinen Platz mehr hast? Ach ja dann versteh ich das natürlich nicht.
6. Einkaufen & die Post
Es ist so unglaublich anstrengend, wenn man kein Auto hat, wirklich. Es ist beinahe unmöglich (ausser man hat vieeel Zeit) hier richtig zu wohnen und Einzukaufen. Meine Pakete landen im Dorf-Lädeli, welches von 8-16Uhr geöffnet hat. Aber am Mittwoch nicht, dann ist natürlich (wohl wegen nicht reichender Auslastung?) geschlossen. Kann mir mal bitte jemand erklären, wann ich meine Pakete abholen soll? Wie ihr ja schon wisst, arbeite ich. Meistens von 7-17 und bis ich mit dem Bus wieder Zuhause bin, ist die Poststelle natürlich zu. Wisst ihr, wie das ist, wenn ihr ein Paket, auf das ihr sooo lange gewartet habt nicht haben könnt, weil ihr es nicht abholen könnt? Stellt euch bitte mein lachendes Gesicht vor, weil ich versuche nicht zu weinen oder wütend zu sein. Mein rechtes Auge zuckt dann manchmal und ich starre in die Luft. Etwa so fühlt sich das an. Und wieso kostet eine Chipspackung dort fast die Häfte mehr? Höhenmeter-Zuschlag, oder was? Aber; Was soll’s?
7. Die Zeit steht still
Gerade bei den jungen Leuten (grosses Sorry an viele meiner alten Schulkollegen, aber ich seh das halt so.) hier im Entlebuch, ja nicht nur in meinem Kaff, im ganzen Amt, sehe ich immer wieder bekannte Gesichter und wenn ich dann ein Gespräch mit denen beginne, fühle ich mich wieder wie in der 8. Klasse. Es hat allerdings nichts damit zutun, dass ich mich nur daran erinnere sondern, dass mein Gegenüber sich irgendwie nicht von der Stelle bewegt hat (Natürlich im übertragenen Sinn. Ansonsten würde ich mir Sorgen machen…). Immer noch die selben Sprüche, die selber Bars in denen sie Fr-Sa rumsitzen und trotzdem denken alle, ihnen liegt die Welt zu Füssen. Keine Ahnung, in was für einer Welt sie leben, aber ich denke, dass ist der Weg mit dem geringsten Widerstand. Solange alles gleich bleibt, hat man auch keine unschönen Veränderungen.
Ich möchte abschliessend sagen, dass es mich mehr als nervt, dass ich wegen meiner Berufsmatura nicht endlich von hier wegziehen kann, aber wie ich oben schon gesagt habe: Was soll’s? Die letzten 21 Jahre habe ich diese Menschen schon ausgehalten, was machen da schon noch 2-3 Jahre aus…
Ein Kommentar
Josua Ernst
3. Mai 2017 at 19:24Super Post! Schadenfreude herrscht, denn mein Kaff ist nicht ganz so kaffig wie deins. 😉