Wie oft musste ich mir in den vergangenen fünf Jahren anhören, dass mein Beruf doch keine Herausforderung sei. Es gäbe schliesslich nichts zu tun, Menschen mit einer Behinderung zu begleiten. Es sei doch keineswegs anstrengend, mit denen zu arbeiten, die seien doch schliesslich alle immer gut gelaunt, so wie diese Menschen mit Down-Syndrom. Wie oft, habe ich gesagt bekommen: „Ach, Autisten, ist ja einfach, die sind doch alle gleich.“ Es ist eben nicht immer einfach Menschen mit einer Beeinträchtigung zu begleiten und zu betreuen und wieso, das möchte ich heute erzählen.
Fangen wir doch damit an, dass Personen, die wirklich nichts mit Behinderten am Hut haben, sehr tolle und sehr strenge Vorstellungen davon haben, wie die klassischen Behinderungsbilder auszusehen haben. Autisten sind laut deren Vorstellung immer am hin und her Wippen, können sich alles merken und Matheprobleme lösen sie in wenigen Sekunden, obwohl sie nie mit ihre Mitmenschen sprechen, weil Autisten doch nicht sprechen können… Die „Downies“, wie sie von gewissen Menschen (nicht) liebevoll genannt werden, sollten, sofern sie den Erwartungen der eben genannten Personen entsprechen, folgendes erfüllen: Sie sind klein, immer gut gelaunt, Menschen offen und nicht annähernd so klug wie ein Autist.
„Es muss wunderbar sein, mit Autisten zu arbeiten. Die sind doch so unfassbar klug…“
Das grösste Vorurteil ist wohl aber, dass ich in meinem Beruf ja nur am Kaffee trinken sei. Kaffee spielt zwar im Leben vieler Klienten eine zentrale Rolle, ist jedoch nicht wirklich ein grosser Teil meiner Arbeit. Ich beschäftige mich mit der Pflege der Klienten, sowie der Pflege der Beziehung zu den Klienten, versuche sie zu unterstützen und zu Fördern wo es nur geht. Es ist manchmal echt schwer, einen Weg zu finden, für diese Menschen wie eine Freundin zu sein, der sie alles sagen können, professionell zu sein und zu wirken und dabei auch noch die nötige Distanz zu wahren, damit ich Nachts nicht wach da liege.
Ich habe mir wirklich schon oft die Frage gestellt und auch gestellt bekommen, ob die Menschen die ich Tag ein und Tag aus begleite, wirklich glücklich sind, oder es sein können. Schliesslich sind sie in vielen Teilen ihres Lebens sehr eingeschränkt. Gerade das Thema Sexualität ist eines der wohl umstrittensten Punkte. Soll eine Person, welche nicht mal zu sich selber schauen kann, ein Kind bekommen (dürfen)? Ich sage nein, aber viele sagen, dass es ein Menschenrecht ist, seine eigene Familie zu gründen. Also ein riesiger Konflikt mit mir selber, da ich, als Betreuungsperson schliesslich ein Sprachrohr der Klienten bin, die für ihre Bedürfnisse kämpfen sollte.
„Ach, ein Autist… Darüber habe ich letztens einen Beitrag im Fernsehen gesehen. Der Herr konnte über New York fliegen, sich alles merken und Manhattan danach Detailgetreu nachzeichnen. Können das deine Klienten auch?“
Es gibt so viele, wunderbare Beispiele dafür, dass die Personen die ich betreuen darf, wirklich glücklich sein können oder es sogar sind. Man muss dabei auch bedenken, dass man nicht immer glücklich ist, denn das ist eine Moment-Beschreibung, oder ein vorübergehender Befindlichkeitszustand. Doch ich würde behaupten, dass gerade die, von denen man es nicht erwartet, dass sie „glücklich sind“ es am ehesten sein können. Denn für Leute welche ich betreue, bedeutet „Glück“ etwas ganz anderes. Sie freuen sich, wenn man sagt, dass sie heute länger Fernsehen dürfen, es aber keinem erzählen sollen. Ein kleines Geheimnis haben, jemandem vertrauen. Das ist etwas wichtiges und etwas, was jeder möchte.
Nebst dem, dass ich schon einige Mal die Wut gewisser Klienten spüren und sehen durfte, Stühlen und Schimpfworten ausgewichen bin, erlebe ich ständig tolle Dinge auf der Arbeit. Sei es, dass ein Klient mit seinem Problem zu mir kommt, weil er denkt, dass nur ich ihn verstehen kann, oder, dass ich ihm die Angst vor etwas nehmen kann, weil er mir vertraut. Es gibt auch Momente, da bin ich nicht glücklich und muss trotzdem zur Arbeit. Dann gibt es Bewohner die haben so ein unglaubliches Feingefühl, dass wenn ich die Türe öffne schon die Frage kommt, was denn mir über die Leber gelaufen sei. Andere kommen dann und streicheln mir über den Kopf. Also ich möchte ja wissen, bei welchem anderen Beruf man manchmal gestreichelt wird…
Im Restaurant: „Was möchte denn Ihre Begleitung trinken?“ „Wieso fragen Sie ihn nicht selber?“ „Ach, er versteht mich? Ich dachte, wegen dem Rollstuhl…“
Im Alltag begegne ich wirklich oft den Vorurteilen der Mitmenschen und aber auch den Hindernissen die eine Behinderung mit sich zieht. Sei es, der Randstein, der beim Fußgängerüberweg nicht gesenkt wurde und man mit dem Rollstuhl nicht hoch kommt, oder ein viel zu kleines Klo, wo der Rollstuhl gar nicht erst rein passt. Doch es gibt auch wirklich hilfsbereite Menschen. Gerade erst letztens, da stand ich mit einem Klienten, der im Rollstuhl sitzt, an einem Bahnhof wo man nicht eben in den Zug einsteigen konnte. Kurzerhand hatte ich fünf starke Männer zusammen, die mitgeholfen haben, den Herrn hoch zuheben. Es haben sich spannende Diskussionen entwickelt und wir zwei haben immer etwas tolles zu erzählen.
Ich hoffe, euch hat der kleine Einblick in mein Gedankenchaos über meine Arbeit gefallen.
Anna
8 Kommentare
Jasmin
5. März 2017 at 12:01Wo gnau schaffsch du? Bzw. nur mit Mensche mitere geistige Behinderig oder au mit Mensche mitere rein köperliche?
Finds en guete Text, und chan en sehr guet uf mi selber überträge, schaffe momentan inere Schuel für Chind mitere geistige Behinderig uuund kenne drum vieli (wenn au nid alli ?) Situatione us mim eigne Alltag.
siteadmin
5. März 2017 at 12:44Hallo Jasmin!
Ich dachte das sei in meinem Beitrag ersichtlich, da Autisten, sowie Rollstuhlfahrer darin vorkommen.
In der SSBL – Stiftung für Schwerbehinderte Luzern, wohnen Grösstenteils Personen mit einer kognitiven oder mehrfach Behinderung, dies schliesst also nicht aus, dass Personen in den versch. Wohnheimen im Rollstuhl, oder Bettlägrig sind.
Arbeitest du im HPZ?
dasmarc
5. März 2017 at 12:11Vorurteile über diverse Berufsgruppen gibt es überall. Sei es, dass man Leuten an der Kasse nachsagt, dass die nichts erreicht hätten, sei es dass man KV-Lehrlingen nachsagt, dass die doch eh nichts machen würden……
Der Beruf, den du ausübst, gehört für mich klar in die Liste der ehrenvollsten und unterschätzten Berufe. Finde es immer interessant davon was zu hören. Es ist wichtig, dass man sich über Dinge informiert – und vor allem ein bisschen nachdenkt – bevor man irgendwelche Äusserungen darüber macht.
Ma
5. März 2017 at 12:37Ja ja die Streicheleinheiten für ANSI. Ist schon klar, der Rollstuhl versteht keine Fragen, und möchte auch nicht’s trinken ?
Anne
5. März 2017 at 15:38Toll und eindrücklich geschrieben!
Meine Mutter hat selber viele, viele Jahre als Erzieherin in einem Behindertenheim gearbeitet und da habe ich viel mitbekommen. So unter anderem auch, wie hart diese Arbeit eigentlich ist. Ich habe grossen Respekt vor Menschen wie Dir und finde es ganz toll, was Du machst! ??
Ganz liebe Grüsse, Anne
http://annesleben.ch
Maurice
6. März 2017 at 9:18Wenn man im Rollstuhl sitzt kann man natürlich nichts hören ?
Schöner Beitrag von dir ??
rialo
10. März 2017 at 21:17hei. was ein schöner respektvoller wahrer text. ich bin mir sicher du machst einen wunderbaren job. alles gute du schöner und starker mensch!✌️
siteadmin
10. März 2017 at 21:18oh, vielen lieben Dank für diesen lieben Kommentar! 🙂